Meine Umsetzungsidee
Nach vielen Jahren als TPP ist mir aufgefallen, dass sich eine gewisse Routine im
Tagesablauf eingeschlichen hat und ich viele Möglichkeiten der Beteiligung
unbewusst übergangen habe.
Deshalb habe ich ein neues Konzept für die Partizipation entwickelt.
Dazu möchte ich wieder mehr Möglichkeiten der Beteiligung einrichten und fest im
Alltag etablieren.
Ich werde zwei verschiedene Möglichkeiten der Partizipation berücksichtigen:
Einzelentscheidungen, bei denen das Kind nur für
sich selbst Entscheidungen treffen kann.
Gruppenentscheidungen, in dem die Gruppe Ideen sammelt und Entscheidungen
trifft. Es wird diskutiert und die demokratische Mehrheit entscheidet.
Zu Beginn habe ich mir erst verschiedene Bereiche, die die Tagespflege betreffen,
ausgesucht und überlegt, ob und was die Kinder (mit)entscheiden können und dürfen
und was nicht. Außerdem musste ich mir überlegen, wie ich diese Rechte umsetzen
kann.
Wenn die Gesundheit oder die Sicherheit der Kinder in Gefahr ist, werde ich eine
Beteiligung ausschließen.
Bereiche, für die eine Partizipation denkbar ist, sind:
-Essen
Hier dürfen die Kinder entscheiden, ob sie essen oder nicht. Bei der Essenszeit kann
ich alleine mit 5 Kindern die Zeiten nicht flexibel gestalten sondern werden aus
organisatorischen Gründen vorgegeben.
Die Kinder bekommen eine begrenzte Auswahl an Speisen, aus denen sie wählen
können. Außerdem können sie das Besteck und die Farbe des Geschirrs frei wählen.
Die Wahl des Getränks bleibt weiterhin frei.
-Wickeln
Beim Wickeln können die Kinder nicht immer entscheiden, ob sie gewickelt werden
wollen oder nicht. In einigen Fällen muss aus gesundheitlichen oder hygienischen
Gründen gewickelt werden. Ich lasse den Kindern aber immer Zeit, ihr Spiel zu
beenden. Sie entscheiden, wo sie gewickelt werden möchten. Sie dürfen sich die
Windel und Tücher selber aus ihrem Korb holen.
-Schlafen
Beim Schlafen dürfen die Kinder entscheiden, ob sie schlafen möchten oder nicht.
Dabei ist es aber wichtig, Rituale einzuhalten und die Kinder auf das Schlafen
vorzubereiten. Das zu Bett gehen soll bewusst gestaltet werden. Die Rituale helfen,
es nicht als Pflicht, sondern als Chance zur Erholung zu sehen. Die Kinder werden
nicht plötzlich aus dem Spiel gerissen, sondern werden darauf vorbereitet, dass es
bald Zeit ist. So können sie sich darauf einstellen und ihr Spiel in Ruhe beenden. Die
Gestaltung der Rituale gehen dabei auf die Bedürfnisse der Kinder ein und werden
teils individuell angepasst.
-Tagesablauf
Der Tagesablauf wird im Morgenkreis besprochen. Dabei bleibt die Grundstruktur
immer gleich. Die einzelnen Bereiche werden aber täglich neu ausgefüllt. Die Kinder
können täglich aus 2-3 Möglichkeiten wählen. Die Möglichkeiten werden von den
Kindern und/oder von mir ausgewählt. Es wird diskutiert und per Abstimmung
entschieden, was wir an dem Tag machen.
-Ausflüge
Wenn Ausflüge geplant werden, dürfen die Kinder Vorschläge machen, wo es
hingehen soll. Bei mehreren Möglichkeiten entscheidet wieder die Mehrheit.
-Basteln
Wenn wir basteln, darf jedes Kind entscheiden, ob es mit bastelt oder nicht. Die
Kinder können dann entweder frei basteln und machen was sie wollen, oder aus 1-2
vorgegebenen Möglichkeiten wählen. Dabei darf jedes Kind für sich alleine
entscheiden, es ist kein Mehrheitsentscheid nötig.
-Kleidung
Bei der Wahl der Kleidung geht es auch um die Gesundheit der Kinder. Deshalb ist da
ihre Entscheidungsfreiheit geringer. Kinder ab ca. 2 Jahren können im kleinen
Rahmen über ihre Kleidung entscheiden.
Meine konkrete Umsetzung
Bei der praktischen Umsetzung habe ich als Erstes die Essenssituation geändert.
Bisher haben alle Kinder von mir morgens das gleiche Brot mit dem gleichen Belag
bekommen. Außerdem gab es eine Auswahl an Obst und Rohkost, wobei sich jedes
Kind das Gewünschte nehmen konnte. Als Getränke gab es abwechselnd Wasser oder
Tee. Ich habe zwar täglich etwas anderes zu essen gegeben, aber alle Kinder haben
das Gleiche zu essen bekommen.
Da dies keinerlei Beteiligung zulässt, habe ich nun morgens mindestens 2
verschiedene Brotsorten und Müsli/Porridge im Angebot. Außerdem gibt es 3-4
verschiedene Wurstsorten oder Aufstriche. Als Getränke gibt es nun Wasser, Tee
oder Milch im Angebot. Die Auswahl an Obst und Rohkost ist so geblieben.
Die Situation beim Mittagessen ist ähnlich gewesen. Ich habe immer Kartoffeln, Reis
oder Nudeln etc. gemacht, 2-3 x wöchentlich Fleisch oder Fisch dazu. Bei dem
Gemüse hatte ich schon immer verschiedene Sorten, die ich aber fast immer als
Mischgemüse auf den Teller verteilt habe. Die Kinder haben das gegessen, was sie
wollten und den Rest übrig gelassen.
Nun dürfen die Kinder immer nach dem Mittagessen 1-3 Vorschläge für das Essen am
nächsten Tag machen. Evtl. Kommen noch Vorschläge von mir dazu. Von vielen
Gerichten habe ich Fotos gemacht und einlaminiert. Es werden immer max. 3
Möglichkeiten angeboten und die Kinder können per Muggelsteinen entscheiden, was
sie essen möchten. Das Gericht mit den meisten Steinen wird am Nächsten Mittag
zubereitet.
Freitag gibt es diese Abstimmung nicht. So kann ich Montags mal etwas kochen, was
lange nicht dran war oder mal ein neues Gericht einführen.
Gerichte, die gekocht wurden, werden dann für den laufenden Monat aus dem Korb
genommen, so das jedes Gericht max 1x im Monat gekocht wird.
Ich habe für die Kinder buntes Plastikgeschirr. Die Kinder dürfen sich jeden Tag
eine Farbe aussuchen, die sie haben möchten. Alle Speisen dürfen sie sich selbst auf
den Teller füllen.
Beim Wickeln dürfen sich die Kinder aussuchen, wo sie gewickelt werden möchten.
Einige wollen mit mir alleine sein und keine anderen Kinder dabei haben, andere
Kinder möchten gerne andere Kinder um sich haben. Dafür habe ich extra mehrere
räumliche Möglichkeiten. Eine Wickelauflage habe ich direkt im Spielzimmer auf
dem Boden, eine im Badezimmer. Als erstes wird jedes Kind informiert, dass es
gleich gewickelt werden muss. Es wird nicht einfach so aus dem Spiel gerissen,
sondern hat Zeit, sich darauf einzustellen und evtl. ein Spiel zu beenden. Es darf
dann seine Windel und die Tücher aus seinem Korb holen und entscheiden, wo
gewickelt wird. Teilweise haben Kinder jeden Tag das gleiche Ritual beim Wickeln,
andere Kinder überlegen es sich jeden Tag anders. Beim Wickeln rede ich viel mit
dem Kind und erkläre, was ich mache. Außerdem ist auch Zeit um ein Fingerspiel o.ä.
Mit dem Kind zu spielen.
Im Morgenkreis werden alle Kinder begrüßt, jedes darf etwas erzählen, das ihm
wichtig ist. Danach besprechen wir den weiteren Tagesablauf.
Beim Tagesablauf und bei den Ausflügen werden alle Entscheidungen demokratisch
entschieden, da diese Entscheidungen die ganze Gruppe betreffen. Es werden
Vorschläge gesammelt, diskutiert und per Mehrheitsentscheid entschieden. Als
Themen für den Tag stehen folgende zur Auswahl: Basteln, Musik, Entspannung,
Turnen und Natur. Wenn die Wahl auf einen Ausflug in die Natur fällt, dürfen die
Kinder noch auswählen, wo wir hingehen sollen. Dafür stehen uns zur Zeit der
Lippepark, der Wald und Kanal/Lippe zur Verfügung.
Das Freispiel war und bleibt für das Kind eine Zeit, in der es sich seine Spielpartner
und das Spielzeug selbstständig aussuchen kann. Dafür habe ich das Spielzeug leicht
erreichbar im Zimmer verteilt. Ich mache Spielangebote nur, wenn ein Kind von
alleine auf mich zukommt und nach Hilfe fragt. Ansonsten bin ich in der
Freispielzeit stiller Beobachter.
Das Freispiel gibt mir auch die Möglichkeit, mehr Zeit mit einzelnen Kindern zu
verbringen. So kann ich mit ihnen ein Spiel spielen, Puzzlen, Bücher lesen. Dabei
kann ich auch einzelne Kinder spielerisch fördern und auf ihre Interessen eingehen.
Ein weiterer Bereich, wo die Kinder ganz für sich alleine entscheiden sollen, ist
das Kreativangebot. Bisher war es immer so, dass die Kinder entscheiden können, ob
sie basteln möchten oder nicht. Nun gebe ich bei Bastelarbeiten immer 1-2
Möglichkeiten vor. Möchten sie gar nichts davon, können sie auch frei und ohne
Vorlage basteln.
Beim Mittagsschlaf ist eine Partizipation schwierig. Die Kinder in dem Alter können
meist nicht ohne einen Mittagsschlaf auskommen. Sie hier entscheiden zu lassen, ob
sie schlafen möchten oder nicht, war für mich nicht so leicht. Bisher sind aber alle
Kinder immer gerne und ohne Protest schlafen gegangen. Wir haben unsere Rituale,
die die Kinder vom ersten Betreuungstag an kennenlernen und meist sofort
annehmen. Ich habe die Kinder trotzdem gefragt, ob sie schlafen möchten. Mein
ältestes Tageskind hat dann auch sofort die Entscheidungsfreiheit angenommen und
wollte nicht schlafen. Es durfte sich dann leise beschäftigen und hat in der Zeit
gemalt. Nach kurzer Zeit wurde ihm aber langweilig und er konnte seine Müdigkeit
kaum verbergen. Am nächsten Tag ist er wieder ganz normal mit den anderen
Kindern schlafen gegangen.
Vor dem Schlafengehen nimmt jedes Kind sein Kuscheltier, seinen Schnuller oder was
es sonst so zum Schlafen braucht, mit ins Zimmer. Wir bauen unsere Betten auf und
sie dürfen ihre Sachen in ihr Bett legen. Danach setzen wir uns alle zusammen in
unsere Kuschelecke und ich lese ein Buch vor, das das “Löwenzähnchen des Tages”
aussuchen darf. Anschließend geht jedes Kind in sein Bett, ich decke es zu und wir
singen ein „Gute-Nacht-Lied“.
Eine Beteiligung der Kinder bei der Auswahl der Kleidung zuzulassen, ist in dem
Alter nur bedingt möglich. Sie können noch kaum abschätzen, wie kalt oder nass es
ist. Ich werde also nur Kinder ab zwei Jahren eine kleine Möglichkeit der
Partizipation geben. Sie dürfen entscheiden, ob sie mit Regenhose rausgehen oder
nicht. Im Winter werden sie entscheiden dürfen, ob sie Handschuhe anziehen oder
nicht.
Ich habe zwei Tageskinder, die über zwei Jahre alt sind. Eins von denen wollte, vor
die Wahl gestellt, keine Regenhose anziehen. Wir sind dann auf die Terrasse
gegangen und haben den Rasen gefühlt.
Er hat auch gesagt, dass er nass ist. Als ich ihn gefragt habe, ob er dann eine
Regenhose anziehen möchte, hat er dies immer noch verneint. Ich war dann etwas
unsicher, habe ihm aber seinen Willen gelassen, da es nicht kalt war. Nach fünf
Minuten im Freien kam er zu mir und hat sich beschwert, dass seine Hose nass war.
Wir mussten alle rein gehen, damit ich den Jungen umziehen konnte. Seitdem gehen
wir jeden Morgen raus und prüfen den Rasen. Wenn er nass ist, zieht er nun
freiwillig seine Regenhose an.
Im Sommer werde ich die Kinder dann entscheiden lassen, ob sie eine Jacke,
Regenhose und Schuhe anziehen möchten.
Keinerlei Beteiligungsrecht gestehe ich den Kindern zu, wenn es um die physische
oder psychische Gesundheit geht. So dürfen nur Kinder, die im Straßenverkehr
uneingeschränkt und sofort auf mich hören, laufen. Die anderen müssen im Wagen
bleiben.
Außerdem muss mein Hund respektiert werden und darf in ihrem Körbchen nicht
gestreichelt werden.
Konflikte werden immer gewaltfrei gelöst und keiner wird beleidigt.
Ein größeres Partizipationsrecht bedeutet immer einen großen Mehraufwand, Geduld
und Zeit.
Man muss verinnerlichen, dass die Kinder das Recht haben, ihr Leben
mitzubestimmen.
Meine bisherigen Änderungen und das Verhalten der Kinder darauf, geben mir die
Bestätigung, dass eine größere Partizipation die Kinder stärkt. Sie hören stärker
auf sich und ihre Bedürfnisse und bekommen den Raum, diese zu äußern und nach
Möglichkeit zu verwirklichen. Wenn ein Wunsch nicht erfüllt werden kann, wird dies
immer diskutiert und erklärt, warum es eben nicht geht. Die Kinder lernen so auch,
mit Frustration umzugehen. Meine älteren Tageskinder haben das System schon
nach kurzer Zeit gut verstanden. Sie sind interessiert daran, ihren Tag bei mir
mitzubestimmen. Teilweise wird das dann ein wenig ausgetestet. Sie merken dann
aber schnell, wenn eine Entscheidung eventuell nicht ganz richtig war. Daraufhin
wird sehr oft das Verhalten geändert. Dies wird ganz alleine gelernt, ohne Zwang,
Belehrung oder Vorschriften meinerseits.